Transkript Folge 2

Podcast – Episode 2
Die Ich bin O.K. Dance Company im Gespräch mit Lina Hölscher

Lina Hölscher: Hallo und guten Tag. Hier ist wieder Lina Hölscher. Ich begrüße Sie zu einer neuen Podcast-Folge vom InTaKT-Festival. Heute treffe ich Tänzer*innen der Ich bin O.K. Dance Company auf der Donauinsel in Wien, wo sie später einen Workshop geben.

Das besondere an der Ich bin O.K. Dance Company ist, dass Tänzer*innen mit und ohne intellektueller Beeinträchtigung gemeinsam trainieren und auch auftreten.

In diesem Jahr präsentieren wir „UN/GLEICH, aber jeder möchte“ im Schauspielhaus Graz. Das Stück sollte eigentlich bereits im letzten Jahr uraufgeführt werden, aufgrund der Pandemie war dies aber leider nicht möglich. Aber jetzt ist es soweit:

Auszug aus dem Stück (Mit Musik unterlegt):
Frauenstimme: Was soll ich sagen: Es gibt so viele verschiedene Menschen und jeder hat seine Stärken und Schwächen und bringt seine eigene Geschichte mit. Der Eine weiß mehr über gewisse Dinge. Dafür weiß der Nächste wiederum Sachen, von denen der Erste keine Ahnung hat. Nun, es ist ja auch nicht nur das Wissen entscheidend. Das hilft mir aber auch nicht wirklich weiter bei der Frage, wer wir sind.
Aber, wenn wir nur das glauben würden zu sein, was man über uns sagt, wer sind wir denn überhaupt? Haben wir denn überhaupt eine eigene Meinung? Ich glaube viele würden sich komplett anders betrachten, wenn sie nicht dauernd von außen beurteilt werden würden.

Lina: Es freut mich voll, dass ihr jetzt hier seid, um mit mir ein bisschen zu sprechen. Und vielleicht stellt ihr euch einfach einzeln kurz vor, wie ihr heißt und wie lange ihr schon bei der Ich bin O.K. Dance Company seid.

Niklas Kern: Mein Name ist Niklas Kern. Ich bin 27 Jahre alt. Ich tanze seit 20 Jahren. Ich bin okay.

Johanna Ortmayr: Ich bin die Johanna Ortmayr. Ich bin 27 Jahre alt und ich tanze seit 14 Jahren.

Lina: Wow. Raphael Kadrnoska: Ich bin Raphael Kadrnoska. Ich bin seit 12 Jahren dabei.

Simon Couvreur: Hallo. Ich bin Simon Couvreur. Ich bin jetzt 27 Jahre alt. Ich tanze gerne. Und ich tanze auch schon seit ungefähr 17 oder 18 Jahren.

Lina: Wahnsinn und ihr seid ja alle Profis. Und Attila?

Attila Zanin: Ich bin der Attila Zanin bin seit 1979 dabei. Meine Mutter hat den Verein gegründet und war mit mir schwanger. Ich bin also von Anfang an dabei. Den Verein leite ich seit 2009 mit Hanna Zanin. Und ich bin jetzt 42 Jahre alt.

Lina: Und könnt ihr mir kurz erklären, wie das funktioniert bei euch im Verein? Wie läuft das ab?

Attila: Also der Verein hat drei Schwerpunkte: Ein Schwerpunkt ist das Tanz-Studio, wo wir 19 Kurse in der Woche anbieten: Von HipHop-Tanz, Modern-Tanz, Kinder-Tanz, Ballroom und Musical-Dance, für jeden ist was dabei. Die zweite Schiene ist die Ich bin O.K. Dance Company, die Hanna und ich 2010 gegründet haben, weil wir einfach gesehen haben, was für ein Potenzial da ist. Und um die Inklusion wirklich zu leben und die Möglichkeit zu geben, dass jeder professionell arbeiten kann, haben wir die Dance Company gegründet.

Und die dritte Schiene ist die Neueste: die Dance Assist Schiene. Wir hatten von 2017–2018 die Möglichkeit, für ein Jahr vom Sozialministerium gefördert zu werden. Wo wir wirklich eine Ausbildung anbieten konnten: 15 Stunden in der Woche noch zusätzlich zu der Arbeit, wo halt wirklich Schwerpunkt war: Tanz-Theorie, Anatomie, Sprache und dann die praktischen Teile und all das. Und deswegen sind wir auch hier heute beim Impulstanz, weil wir einfach diese Ausbildung hinter uns hatten und um Erfahrungen zu sammeln, versuchen wir so oft wie möglich Workshops zu geben, wo unsere Assistenten ihren Teil übernehmen.

Lina: Und ihr habt alle diese Ausbildung gemacht?

Johanna: Ja, richtig.

Lina: Wahnsinn. Ich frage euch, was bedeutet es für euch zu tanzen?

Simon: Zu tanzen heißt Ausdruck. Zeigen, dass wir gerne tanzen. Auch in der Freizeit. Ich liebe tanzen. Ich bin so motiviert, ich strahle mit meinem Gesicht, mein Herz geht auf. Auf der Bühne zu stehen macht mich zwar ein bisschen nervös, aber manchmal auch nicht so nervös. Wir sind Schauspieler, wir schaffen das alles und wir kommen ins Ziel!

Zum ersten Beispiel, was Attila auch angesprochen hat, wegen Workshops geben, dass wir Leute oder Kinder unterrichten können: Einen Workshop machen wir vielleicht in Deutschland oder bei meiner Mamas Schule, weil mit meinem Freund Niklas habe ich dort einen Workshop gegeben. Die Schüler waren so begeistert. Ich war sehr nett und höflich. Man muss respektvoll sein und lieb miteinander sein und lieb sprechen.

Lina: Und ich finde man merkt nicht, dass ihr aufgeregt seid. Ihr seid wahnsinnig professionell. Raphael ist ja sozusagen Profisportler und du hast ja auch so eine sportliche Figur. Wie oft trainierst du in der Woche? Raphael: Dreimal die Woche. Einmal mache ich beim Attila HipHop-Tanz, bei Johanna Modern Dance und am Freitag Breaking.

Attila: Breaking ist Breakdance. Raphael: Breakdance sagt man nicht mehr, man sagt Breaking. Atilla: Die Leute, die sich auskennen, sagen nicht mehr Breakdance sondern Breaking.

Lina: Ich versuche es mir zu merken. Raphael: Ich kenne mich sehr gut aus.

Lina: Ich weiß, dass ihr euch alle besser auskennt als ich mich mit dem Tanz.

Attila: Aber dafür sind wir auch da, dass wir es den Leuten, die es nicht wissen, zeigen können.

Lina: Das ist wirklich toll. (zu Johanna) Und was bedeutet dir das Tanzen?

Johanna: Tanzen bedeutet Freundschaft und Liebe. Ich habe meine Liebe jetzt auch gefunden: Raphi!

Lina: Ach ja, du bist mit Raphael zusammen. Freut mich sehr für euch!

Johanna: Dankeschön! Was tanzen auch bedeutet: Dass ich sehr viele Freunde habe und sehr viel Spaß. Und eine schöne Figur zu haben.

Attila: Ja, es ist auch gut für den Körper.

Lina: Ihr seid ja auch wie eine zweite Familie füreinander, oder?

Attila: Ja, umso härter war es auch beim Lockdown, als sie sich nicht treffen konnten, nicht live, nur über Zoom. Aber zum Glück haben wir es hinter uns und jetzt können wir uns wieder treffen und das ist sehr wichtig für alle Personen, der soziale Kontakt. Online war eine gute Zwischenlösung, aber keine Endlösung.

Niklas: Ich möchte sagen, es hat sehr lange gedauert. Corona geht mir wirklich langsam auf den Keks, weil wir müssen immer eine Maske tragen.

Das Tanzen macht Freundschaft. Gemeinsam tanzen können ist wichtig. Meine Freundin ist auch Dance Assist bei uns. Wir sind seit 6 Jahren zusammen und das Tanzen macht Spaß. Ich habe viele Freunde gefunden. Ich habe auch einen Bruder, einen Ersatzbruder: den Simon Couvreur. Und wir wohnen gemeinsam in einer WG mit neun Mitbewohnern. Es ist in der Nordbahnstraße. Es ist sehr schön dort zu wohnen und zu leben. Das freut mich. Wir haben auch eine Chefin: die Angelika Stuchlik, die Mama von Alex. Sie leitet den Verein Ich bin aktiv. Ich arbeite am Donaukanal, am Badeschiff, mit Simon gemeinsam. Wir sind beide angestellt.

Line: Wie heißt das? Badeschiff? Da muss ich vorbei gehen! Alle Wiener zum Badeschiff! Cool!

Niklas: Ja, und ich bin seit Sommer dazu gekommen. Der Simon hat vor 9 Jahren schon angefangen und der ist schon ein Profi. Und wir sind gemeinsam auch bei Adidas angestellt, weil das auch im Badeschiff ist und dann sind wir mit 5 Stunden angestellt als Dance Assists. Und das freut mich, dass wir jetzt unterrichten können. Ich freue mich sehr!

Lina: Ja, endlich! Wir haben euch ja eingeladen mit dem Stück zum InTaKT-Festival 2021. Die Geschichte ist aber eigentlich folgende: Wir haben euch ja schon mal damit eingeladen, zum InTaKT-Festival 2020. Und dann hat das alles nicht geklappt, so wie wir uns das gewünscht hätten. Und wie ist das jetzt für euch? Ich habe mit Attila länger gesprochen, das Stück ist seitdem einfach nicht gezeigt worden. Also was heißt ‚einfach‘ nicht. Weil es nicht möglich war. Und deswegen dürfen wir tatsächlich auch ein Jahr später die Uraufführung zeigen. Wie ist denn das für euch? Ihr probt ein Stück und dann kommt es nicht raus?

Simon: Zum Beispiel bei UN/GLEICH was du angesprochen hast: Wir haben jeder eine Einzelrolle gemacht und einen Namen zum Tanzen und die Tänzer versuchen mich hochzuheben in der Geschichte, wo ich eine Krone auf meinem Kopf habe. Und ich bin in der Mitte beim Podest auf der Bühne. Ich muss immer vorne sein, weil ich leite diese Szene, die da zum Schluss kommt.

Attila: Es gibt auch eine Szene, Käse-Szene nennen wir die, wo die Leute gerne Witze machen und er macht einen Joke und wird dann als Witzekönig, König der Witze, ernannt. Und deswegen wird er dann hochgehoben. Das war auch ein Prozess. Das war nicht einfach. Da sind wir oft runtergeflogen. Und dann irgendwann hat es geklappt und jetzt funktioniert es super!

Lina: Worum geht es eigentlich bei dem Stück?

Attila: Der Kirin Espana, der die Regie gemacht hat und die Dramaturgie, und ich, wir haben uns überlegt… Oder sagen wir so: Ich habe mir auf ARTE eine Reportage angeschaut die ,Inequality‘ geheißen hat, also ,Ungleichheit‘. Und hauptsächlich ging es über finanzielle Ungleichheit, aber es war auch ein kleines Thema über Menschen mit Behinderung und dann habe ich dieses Thema sehr interessant gefunden. Und mit Kirin haben wir dann gesagt, man kann was aufbauen. Und dann haben wir uns zusammengesetzt mit den Tänzern und Tänzerinnen und haben überlegt: Okay, was ist gleich und was wäre, wenn alle gleich wären? Wäre das gut oder nicht gut? Was ist das, was mich eigentlich als Person ausmacht? Und wenn zum Beispiel die Trends kommen: Schwimme ich da mit oder ist es mir egal? Und was passiert mit den Menschen, die nicht mitschwimmen? Werden die dann ausgegrenzt? Wir haben wirklich ganz banal angefangen. Mit: Wer bin ich? Was macht mich aus? Und dann sind wir drauf gekommen der Name, jeder hat einen anderen Namen, das Aussehen. Aber trotzdem verbinden uns immer die gleichen Vorlieben: Sportler suchen Sportler, Künstler suchen Künstler und so haben wir dann weiter an dem Thema gearbeitet.

Johanna: Darf ich kurz was dazu sagen? Ich habe einen Freund: Okma, der ist als Rapper dabei!

Line: Okma. Ich kenne den, der ist sehr cool!

Johanna: Und der rappt auch dazu, zu UN/GLEICH. Ich bin ja beim Stück nicht dabei, aber ich habe ein bisschen was gesehen davon, nicht alles. Mir gefällt dieses Stück einfach sehr. Aber ich wollte nur sagen, dass ich Raphis Bodyguard spiele, damit er sich nicht verletzt oder so.

Lina (lacht): Ja, der Raphi muss beschützt werden.

Attila: Wenn wir einen Choreografen haben und einen Regisseur, der mit uns eine Idee hat was zu machen, dann versuchen wir auch verschiedene Charaktere zu suchen, die zu den Rollen passen und dann arbeiten wir 6 Monate. Im Sommercamp ist unsere Möglichkeit zwei Wochen trainieren zu können und ausprobieren zu können mit den Profitänzern. Und dann trifft man sich einmal im Monat und je näher die Vorstellung kommt, desto intensiver werden die Proben, wo wir dann auch Samstag, Sonntag teilweise proben und 4–5 Stunden am Tag haben.

Lina: Und dieser Moment es vor Publikum zeigen zu können, auf den wartet ihr!?

Raphael: Genau! Dass wir wieder Publikum haben und was zeigen können auf der Bühne!

Simon: Die drei Profitänzer, die mit uns zusammenarbeiten, kenne ich schon sehr gut. Zum einen Lina, dann Farah und noch eine dritte Person: die Marina.

Lina: Also 3 Frauen.

Simon: Genau, wir haben Glück!

Attila: Bei der Audition wollten wir eigentlich einen Mann und eine Frau haben. Und im Endeffekt haben wir 3 Frauen bekommen.

Simon: Weil es ist auch viel einfacher mit den Frauen. Mit Frauen kann man super arbeiten! Attila mag Frauen auch und mag auch ein bisschen flirten.

Attila (lacht): Aber Arbeit ist Arbeit!

Lina (lacht): So, so. Und du flirtest nicht gern, Simon?

Simon: Oh ja! Ich mag das sehr gern! Und der Attila hat sehr viel Erfahrung mit Menschen mit Down-Syndrom. Sie sind viel langsamer. Menschen mit Down-Syndrom brauchen mehr Zeit. Weil nicht jeder Mensch ist gleich, jeder Mensch ist anders. Unterschiedliche Menschen sind gleich. Wer bin ich? Wo komme ich her?

Attila: Was er, glaube ich, meint, ist, wir sind alle Menschen und das verbindet uns, aber doch sind wir verschieden.

Lina: Simon will noch was sagen.

Simon: Ich wohne in einer Wohngemeinschaft, einer inklusiven WG.

Lina: Ich kenne auch WGs, wo Studenten einfach mit wohnen.

Simon: Genau, wo Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung leben. Weil ich bin ein Teil von Inklusion. Ich habe sehr viel Erfahrung mit Inklusion. Weil Inklusion ist sehr wichtig für Menschen mit einer Behinderung. Wir brauchen Inklusion zur Unterstützung.

Attila: Aber für beide Seiten. Auch Menschen ohne Behinderung müssen diese Erfahrung machen. Ich bin damit aufgewachsen und ich weiß, wie schön das ist, wenn das normal ist.

Lina: Ich auch. Und ich weiß auch, wie schön das ist.

Simon: Genau! Inklusion für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung. Ich bin ein Teil von Inklusion, weil ich hab schon viel Erfahrung damit. Beim Badeschiff haben wir die Preise gewonnen für Inklusion. Wir haben einen Pokal als Dankeschön bekommen, weil wir Inklusion gemacht haben. Ich bin in einer inklusiven WG, Inklusion in der Arbeit, inklusive Musik, und Inklusion Tanzen. Weil ich hab schon viel Erfahrung, dass wir Inklusion brauchen für Menschen mit und ohne Beeinträchtigung.

Attila: Wenn wir schon beim Thema Inklusion sind. Es ist immer sehr spannend zu sehen, wenn wir ein neues Projekt machen und die Profitänzer kommen mit einer bestimmten Haltung oder Erwartung. Und am Anfang merkt man, sie sind ein bisschen unterfordert. Sie mit dieser Attitüde: Was wollt ihr von uns lernen? Und mit der Zeit merken sie, okay warte mal, ich kann ja auch was von denen lernen: diese Ruhe, diese Genauigkeit, diese Entschleunigung. Was wunderschön ist. Gerade bei Profitänzern wo alles schnell, schnell gehen muss und wenig Gefühle da sind oder halt nicht echte Gefühle. Und diese Entschleunigung ist wirklich sehr schön. Da sieht man auch wie die Profitänzer sich dann entspannen und sagen: Oh, es muss nicht immer alles perfekt sein und trotzdem kann es gut ausschauen und es macht Spaß.

Lina: Sie arbeiten ja auch immer wieder gerne mit euch, weil sie merken, was der Mehrwert ist.

Niklas: Zu UN/GLEICH möchte ich auch noch was sagen, weil UN/GLEICH haben wir lange nicht mehr getanzt, seit Corona nicht. Weil es war hart. Wenn die Zahlen wieder hoch aufsteigen, ist das zu gefährlich und jetzt können wir es endlich in Graz machen im November. Und wir können es das erste Mal machen. Keine Angst haben und keine Panik, einfach nur auf die Bühne gehen. Fokussieren und immer bei der Rolle bleiben und nicht an uns rumzupfen, oder dass man draußen aus der Rolle ist. Das wollen wir nicht machen.

Attila: Wir können unser Publikum spüren, wir können Applaus spüren, das, was unsere Bezahlung ist, für die Tänzer, für die Arbeit und da freue ich mich schon sehr!

Auszug aus dem Stück (Musik unterlegt):
Frauenstimme: Akzeptanz ist ein Wort mit 9 Buchstaben: A-K-Z-E-P-T-A-N-Z

Lina: Ich danke euch sehr, dass ihr euch die Zeit genommen habt mit mir zu sprechen und jetzt ganz viel Spaß bei eurem Workshop und ich freue mich sehr, dass ich euch dann im November in Graz begrüßen darf!


Dieser Podcast ist eine Produktion des inklusiven Tanz-, Kultur- und Theaterfestivals InTaKT 2021. Das Festival findet vom 4. bis 7. November in Graz statt.

Redaktion und Interviews: Lina Hölscher, Schnitt: Edi Haberl, zu Gast: Die Ich bin O.K. Dance Company, Evelyn Brezina, Anja Michaela Wohlfahrt, Mareice Kaiser und andere.